Das noch vergleichsweise unbekannte Xingyibaguazhang aus der Wudang- Tradition vereint die spiralig wendigen Bewegungen des Baguazhang mit den geradlinigen Kraftentladungen aus dem Xingyiquan. Die Bewegungen ahmen die Energiequalitäten verschiedener Tiere nach, deren unterschiedliche Fähigkeiten und Charaktere.
Unter den drei inneren beziehungsweise weichen Kampfkünsten Taijiquan (»Die Faust des Allerhöchsten«), Baguazhang (»Die offene Hand der acht Trigramme«) und Xingyiquan (»Die Faust der Form und des Geistes«) ist das Taijiquan die bekannteste. Bagua und Xingyi führen eher ein Nischendasein und das Xingyibagua als Verbindung beider ist relativ unbekannt. Ich möchte hier einen Einblick in dieses Kleinod der Kampfkünste geben, wie ich es von Tian Liyang in den Wudang-Bergen lernen durfte.
In China wird zwischen inneren Kampfkünsten (Neijia Wushu) und äußeren Kampfkünsten (Waijia Wushu) unterschieden. Wudang (daoistisch) repräsentiert die inneren Künste, Shaolin (buddhistisch) steht für die äußeren Künste. Sie sind gleichberechtigt wie Yin und Yang. Alle drei inneren oder weichen Kampfkünste werden metaphorisch mit dem Wasser assoziiert. Vergleicht man die Aggregatzustände, so ist Taijiquan, »die höchste« der Kampfkünste, fließend weich wie flüssiges Wasser. Baguazhang ist dynamisch kreisend und spiralisierend wie Wasserdampf und Xingyiquan in seiner kristallinen Fokussiertheit wie Eis.
Xingyibagua als Variante des Baguazhang vereint die spiralig wendigen Bagua-Bewegungen mit den Kraftentladungen aus dem Xingyi. Es orientiert sich an den Bewegungen der acht Tiere Schwalbe, Adler, Bär, Affe, Drache, Schlange, Tiger und Pferd.
Zwei Kampfkünste begegnen sich
Das Baguazhang, die »Hand der acht Trigramme«, hat seine Wurzeln im Daoismus und lässt stets den Wandel als Prinzip erkennen. So verwundert es nicht, dass seine Ursprünge in schamanisch daoistischen Ritualtänzen liegen. Diese Praktiken werden bis heute in den Tempeln der Wudang-Berge gepflegt.
Die acht Trigramme sind Grundlage der 64 Hexagramme des Yijing (des Buches der Wandlungen). Auch symbolisieren sie die acht Himmelsrichtungen und die Naturkräfte, die durch das Abschreiten der aus Malereien oder Stein-Intarsien bestehenden Symbole angerufen werden. In der Mitte des Kreises befindet sich oft ein Räuchergefäß als Symbol für den Urgrund, aus dem alles entsteht und wohin alles wieder zurückkehrt. Die Rituale werden dazu genutzt, den Geist zu befreien, um im Einklang mit den Veränderungen zu sein. Mantren singend drehen sich die daoistischen Nonnen und Mönche im Kreis und um sich selbst.
Das Kreisen beziehungsweise Spiralisieren ist die ureigenste Bewegungsentfaltung des Kosmos: zyklisch kreisend in Raum und Zeit, sich immer neu entfaltend. So wird im Abschreiten des Bagua-Kreises die Einheit von Makro- und Mikrokosmos zelebriert. Kosmos und Natur bewegen sich in Kreisläufen und auch der Mensch ist diesen Zyklen ausgesetzt. Das Wohl der Menschheit hängt davon ab, wie harmonisch sie sich in die ewigen Kreisläufe einfügt und als Teil der Natur dieser nicht zuwiderhandelt.
Es wird vermutet, dass sich aus den rituellen Kreistänzen der Daoisten schon früh kreisende Kampfkunst-Bewegungen entwickelt haben, die hermetisch innerhalb der daoistischen Schulen übertragen wurden. In der chinesischen Öffentlichkeit tauchte Baguazhang als Kampfkunst erst um 1870 in Person des Dong Haichuan (1797 oder 1813 – 1882) auf. Er nannte seine von daoistischen Kreisgängen inspirierte Kampfkunst »Kreisende/sich wandelnde Handteller« (Zhuan Zhang).
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Dies ist ein Ausschnitt aus einem Artikel über das Wudang Xingyibaguazhang des Taijiquan & Qigong Journal in der Ausgabe 2/2022. Den gesamten Artikel gibt es hier zum Download.