XIAOYAO

Zhuangzi und Xiaoyao – gibt es ein freies Dasein?

Zhuangzi hielt dies für möglich. Meister Zhuangzi war ein bedeutender daoistischer Philosoph und Poet im alten China (365-290 v.Chr.). Er prägte den Begriff „Xiaoyao“ als einen von Daoisten angestrebten Zustand der vollkommenen Freiheit und Unbekümmertheit im Sein.

Was sagen uns die Schriftzeichen?
Xiao 逍: gemächlich, geruhsam, easygoing
Yao 遥: entfernt, aus der Ferne, weit weg

Dies impliziert ein „In-sich-ruhen“ mit einem gesunden Abstand zum Lauf der Dinge in der Welt, Unabhängigkeit und Freiheit. Ein tiefes „Sich-einverstanden-erklären“ mit allen Umständen in heiterer Gelassenheit.

Für Zhuangzi war diese Geisteshaltung Voraussetzung für das Erkennen der wahren menschlichen Wesensnatur. Er suchte nach dem ungebundenen Blick und der freien Einstellung den Dingen gegenüber. Höchstes Glück ist, entspannt durch die Welt zu wandern, um in Frieden, Ruhe und Gedankenfreiheit das wahre, absichtsfreie Leben zu verwirklichen. Menschen, die dies vermögen, werden als „wahre Menschen (Zhenren)“ bezeichnet. Sie streben nicht nach Dingen und hängen nicht an ihnen. Sie folgen dem Lauf der Dinge und mischen sich nicht in die zyklischen Rhythmen ein. Das wird auch mit dem Begriff Wuwei 无为 beschrieben-nicht handeln (im Sinne von nicht eingreifen, um die Dinge zu zwingen. So bleibt nichts ungetan, weil das, was getan wird, im Einklang mit diesem Moment ist). Alle Menschen haben eine grundlegende Sehnsucht nach Ganzheit. Es liegt in der Natur aller Lebewesen, in einem Zustand natürlicher Freude zu existieren und auf natürliche Weise so zu sein, wie sie sind (Ziran 自然 – aus sich selbst heraus so sein). Diese Sicht auf die Welt ist schön beschrieben in folgender Geschichte:

Die Freude der Fische

Zhuangzi ging einst mit Hui Shi spazieren am Ufer eines Flusses. Zhuangzi sprach: »Wie lustig die Forellen aus dem Wasser herausspringen! Das ist die Freude der Fische.« Hui Shi sprach: »Ihr seid kein Fisch, wie wollt Ihr denn die Freude der Fische kennen?« Zhuangzi sprach: »Ihr seid nicht ich, wie könnt Ihr da wissen, dass ich die Freude der Fische nicht kenne?« Hui Shi sprach: »Ich bin nicht Ihr, so kann ich Euch allerdings nicht erkennen. Nun seid Ihr aber sicher kein Fisch, und so ist es klar, dass Ihr nicht die Freude der Fische kennt.« Zhuangzi sprach: »Bitte laßt uns zum Ausgangspunkt zurückkehren! Ihr habt gesagt: Wie könnt Ihr denn die Freude der Fische erkennen? Dabei wußtet Ihr ganz gut, dass ich sie kenne und fragtet mich dennoch. Ich erkenne die Freude der Fische aus meiner Freude beim Wandern am Fluß.«

Was hier ausgedrückt wird: Die Welt zeigt sich immer, wie sie ist. Die Freude der Fische bedarf keiner Erklärung.

Wie können wir offen bleiben für das Mysterium des Lebens?

Daoisten sagen, dass man nur im Einklang mit dem Dao sein kann, wenn das Herz/der Herzgeist (Xin 心) leer ist. Das Herz sollte leer sein von einer selbst geschaffenen Realität. Der Herzgeist kreiert Gedanken und Emotionen, hier entstehen Gefühle, hier wohnen sie und hier können sie sich auflösen. Gedanken sind der Inhalt des Herzgeistes und sie erschaffen unser Universum. Wir glauben, wir bräuchten Dualität und Unterscheidungen, um Dinge zu bewältigen. Aber die Natur der Phänomene liegt jenseits von Dualität. Phänomene und Leere bilden ursprünglich eine Einheit, die unser Geist aus den Augen verloren hat und nun eine künstliche Grenze zwischen Bewusstsein und Welt zieht. Nicht gebunden sein an Dinge heißt unabhängig und frei sein. Daoisten legen großen Wert darauf, im Einklang mit dem Fluss des Lebens zu leben und dem Dao oder der natürlichen Ordnung der Dinge zu folgen.

Was hat das mit Xing (der wahren Wesensnatur/der inneren Essenz des Seins) und Ming (der inneren Energie des Lebens) zu tun? Xing und Ming sind wesentliche Lebensprinzipien (die energetische Seite der Existenz), die von ihrem Ursprung her untrennbar miteinander verbunden sind. Sie bilden eine Einheit im Dao.

Xìng 性 (Menschliche Wesensnatur)
Was ist die wahre menschliche Wesensnatur? Was ist die grundlegende Essenz der Natur aller Wesen? Die menschliche Natur ist nicht von der Natur aller Wesen getrennt. Sie ist formlos. Um Lebensglück zu erschaffen, sollten das Leben an sich und die Individualität aller Wesen vollen Spielraum genießen können.

Mìng 命 (Lebensenergie)
Das formgebende Prinzip des Lebens wird mit Jing (Essenz/Säftekräfte/Lebendigkeit der Körperflüssigkeiten), Qi (der im gesamten Kosmos und in jedem lebenden Wesen vorhandenen Lebenskraft) und Shen (Geist/Spirit) in Verbindung gebracht. Lebenskraft entfaltet sich durch die Erhaltung und Stärkung der körpereigenen und geistigen Energien. Daoisten glauben, dass die Lebensenergie frei fließt, wenn wir gesund und im Einklang mit unserer wahren Natur leben.

Bewusstsein durchströmt das Universum (sonst könnten wir als Teil des Universum keins haben), die innere Essenz (Xing) und die Lebensenergie (Ming). Das Bewusstsein macht sich auf, zu erfahren, was der wahren Natur des Seins entspricht. Alles dreht sich darum, die wahre Natur zu erkennen und zu verwirklichen, um die Schatzkammer des ungetrübten Seins öffnen zu können.

Die Frage ist: Ist Freiheit und Unabhängigkeit, ist Glückseligkeit möglich? Das lässt sich zunächst nur individuell beantworten. Wir brauchen etwas Sicherheit in unseren äußeren Umständen. Aber die Welt des/der Einzelnen ist begrenzt. Weise Menschen sagen: Lass dich nicht zu sehr auf die Dinge im Außen ein. Mach deinen inneren Space groß. Auf universelle, philosophische Weise ist wahre Glückseligkeit frei und leer. Wir können unseren Geist öffnen bzw. hinter den Schleier schauen, um zur Quelle zurückzukehren und uns der ewig strömenden kosmischen Einheit zu öffnen.

Zhuangzi sagte: Sei wie ein Kind! Genieße die Frische des gegenwärtigen Augenblicks, staune, sei spontan und unverstellt. Vertraue dem Leben. Das ist natürliche Freude. Kannst du in diesem Zustand der Unabhängigkeit bleiben und ein Leben in wahrem Mitgefühl und bedingungsloser Liebe führen? Glückseligkeit ist unsere wahre Natur und führt zur Harmonie mit dem Dao.